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Zum Thema Erbrecht
- Interessenlage beim Erbvertrag: Einseitigen Änderungen ist meist kein entsprechend gültiger Bindungswille zu entnehmen
- Jüdischer Kunstsammler: Ergänzende Testamentsauslegung kann Enterbung durch geschichtliche Umstände revidieren
- Mietverhältnis eines Verstorbenen: Die unterlassene Kündigung macht Mietschulden nicht zu Nachlasserbenschulden
- Verfassungsbeschwerde teils erfolgreich: Verfassungsgericht bewertet Wirksamkeit und Stimmverteilung der Beschlüsse von Erbengemeinschaften
- Wirksamkeit eines Testamentsentwurfs: Es liegt kein rechtmäßiges Testament vor, wenn das Schriftstück Regelungslücken aufweist
Bei Erbverträgen stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit die darin getroffenen Regelungen die Beteiligten daran hindern, zu einem späteren Zeitpunkt davon abweichende Verfügungen zu treffen und einen anderen Erben einzusetzen. Das Oberlandesgericht Saarbrücken (OLG) versuchte mit dem folgenden Fall, Licht in diese Fragestellung zu bringen.
Eine Frau schloss mit ihrem zweiten Ehemann einen Erbvertrag ab, in dem sie ihre Tochter aus erster Ehe sowie die fünf Kinder ihres Ehemannes als Erben einsetzte und der Ehemann wiederum auf sein Erbe verzichtete. Einige Jahre später änderten die Eheleute den Vertrag, so dass nur noch die Tochter der Frau und zwei Kinder des Mannes als Erben eingesetzt wurden. Einige Jahre vor ihrem Tod errichtete die - inzwischen geschiedene - Frau ein notarielles Testament, in dem sie alle bisher von ihr getroffenen Verfügungen von Todes wegen widerrief und ihren Neffen als Alleinerben einsetzte. Dieses Testament hielten die anderen drei Erben für unwirksam, da die Frau durch den Erbvertrag gebunden war.
Das OLG gab ihnen Recht. Auch bei einseitigen Erbverträgen, bei denen nur ein Vertragspartner Verfügungen von Todes wegen trifft und der andere diese lediglich annimmt, muss für jede einzelne Verfügung unter Berücksichtigung der Interessenlage beider Vertragsparteien gesondert festgestellt werden, ob sie bei Vertragsschluss bindend gewollt war. Im vorliegenden Fall sah das Gericht Anhaltspunkte dafür, dass die Eheleute die Verfügung als bindend angesehen hatten - unter anderem darin, dass der Ehemann der Änderung des Vertrags ausdrücklich zugestimmt hatte und beide Verträge eine Formulierung enthielten, nach der die Beteiligten auf "die dadurch eingetretene Bindungswirkung" hingewiesen worden seien. Zudem war entscheidend, dass die Verfügung der Erblasserin unterschiedslos sowohl die Tochter als auch die Kinder des Ehemannes begünstigte und damit insgesamt der Nachkommenschaft der neu begründeten Familie zugutekam. Aufgrund der Bindungswirkung des Erbvertrags war die Frau somit nicht mehr befugt, eine Änderung vorzunehmen und ihren Neffen als Erben einzusetzen.
Hinweis: Die Rechtsprechung geht grundsätzlich davon aus, dass eine Verfügung, die eine Zuwendung an den Erbvertragspartner selbst oder an einen diesem nahestehenden (insbesondere verwandten) Dritten enthält, in der Regel bindend ist. Wird dagegen ein Dritter bedacht, der mit dem Erbvertragspartner weder verwandt ist noch ihm sonst nahesteht, wird häufig der Wille zur Bindung fehlen und deshalb nur eine einseitige, testamentsartige Verfügung vorliegen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch nicht, dass die Verfügung von einer Gegenleistung abhängt, sondern nur, dass sich ein entsprechender Bindungswille der Beteiligten dem Vertrag durch Auslegung entnehmen lässt.
Quelle: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 03.09.2019 - 5 W 49/19
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(aus: Ausgabe 12/2019)
Zwischen dem Zeitpunkt, in dem eine letzwillige Verfügung errichtet wurde, und dem Erbfall können mehrere Jahre vergehen und sich die Umstände entscheidend ändern. Daher wird durch die ergänzende Testamentsauslegung ermittelt, was nach der Willensrichtung des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung als von ihm gewollt anzusehen sein würde, sofern er vorausschauend die spätere Entwicklung bedacht hätte. Dass dieser Umstand bei jüdischen Erblassern zur Zeit des Nationalsozialismus eine besondere Brisanz beinhaltet, beweist der folgende Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG).
Ein jüdischer Kunstsammler errichtete im Mai 1939 ein Testament, in dem er seinen damals in Breslau wohnhaften Neffen zum Alleinerben bestimmte. Im Juli 1939 ergänzte er sein Testament um folgenden Zusatz: "Da mein Neffe nach New York ausgewandert ist, bestimme ich zu meinem Alleinerben meine Schwester. Sollte diese nicht mehr am Leben sein, so soll mein Vermögen an die J. Gemeinde übergehen zur Unterstützung hilfsbedürftiger Juden." Die Schwester verstarb jedoch im November 1939, der Erblasser selbst im Juli 1940. Sein von ihm bestimmter jüdischer Testamentsvollstrecker wurde festgenommen und in ein Internierungslager verschleppt. Das Nachlassgericht bestimmte daraufhin einen Nachlasspfleger, der im Mai 1941 eine Einverständniserklärung abgab, wonach die Kunstgegenstände als Stiftung in das Eigentum des Badischen Staats übergehen sollten. Die Nachkommen des zwischenzeitlich in New York verstorbenen Neffen machten 2017 im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Rückgabe der Kunstsammlung an die rechtmäßigen Erben geltend, dass der Nachtrag zum Testament nichtig sei. Denn dieser Nachtrag beruhe darauf, dass es unter den Nationalsozialisten für den Neffen von den USA aus unmöglich gewesen sei, den Besitz der Erbschaft zu erlangen. Daher seien sie als Nachkommen die rechtmäßigen Erben.
Das OLG gab den Nachkommen Recht. Es ging davon aus, dass der Neffe Erbe seines Onkels wurde, da der Nachtrag von Juli 1939 von der Vorstellung geleitet war, dass der Neffe wegen der weitgehenden rechtlichen Diskriminierung von Juden im Jahr 1939 nach seiner Emigration nicht in den Genuss der Erbschaft kommen könne. Im Wege der ergänzenden Auslegung kam das Gericht daher zu dem Schluss, dass der Erblasser den Nachtrag nicht verfasst hätte, wenn ihm klar gewesen wäre, dass diese diskriminierenden Regelungen wenige Jahre nach seinem Tod durch den Zusammenbruch des NS-Regimes hinfällig wurden. Dass die Erbeinsetzung seines Neffen für diesen Fall dem Willen des Erblassers entspricht, ergibt sich aus der Begründung des Nachtrags mit der Auswanderung seines Neffen nach New York.
Hinweis: Dieser besondere Fall zeigt, dass eine ergänzende Testamentsauslegung auch bei klaren Formulierungen im Testament zu einer Berichtigung der Erbfolge führen kann, wenn sich aus den damaligen Umständen ein gegenteiliger Erblasserwille ergibt. Für eine ergänzende Testamentsauslegung ist erforderlich, dass die letztwillige Verfügung des Erblassers eine ungewollte Regelungslücke aufweist. Eine solche liegt vor, wenn ein bestimmter, tatsächlich eingetretener Fall vom Erblasser nicht bedacht und deshalb nicht geregelt wurde, aber geregelt worden wäre, wenn der Erblasser ihn hätte bedenken können.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.09.2019 - 11 W 114/17 (Wx)
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 12/2019)
Wohnungsmietverhältnisse enden nicht automatisch mit dem Tod des Mieters. Treten weder Ehegatten, Lebenspartner oder Kinder in das Mietverhältnis ein, wird das Mietverhältnis mit den Erben fortgesetzt. Im Folgenden hatte der Bundesgerichtshof (BGH) darüber zu urteilen, inwieweit diesbezügliche Erben bei Mietrückständen haften, wenn diese zuvor schon eine Nachlassverwaltung des überschuldeten Nachlasses angeordnet haben.
Nachdem ein Mann verstorben war, nahm sein Bruder die Erbschaft an. Der Vermieter des Verstorbenen kündigte nach einigen Monaten das Mietverhältnis und verlangte von dem Bruder als Erben die Zahlung der Mieten für die Monate nach dem Tod sowie die Räumung und Herausgabe der Wohnung. Kurze Zeit später wurde auf Antrag des Bruders für den überschuldeten Nachlass die Nachlassverwaltung angeordnet. Diese führt dazu, dass der Erbe für Erblasserschulden nicht mehr mit seinem eigenen Vermögen haftet, sondern sich die Haftung auf den Nachlass beschränkt. Der Vermieter ließ die Wohnung zwangsräumen und machte seine Forderungen weiterhin vor Gericht gegen den Erben geltend.
Der BGH stellte fest, dass das Mietverhältnis mit dem Bruder als Erben fortgesetzt worden war und dieser für die aus dem Mietverhältnis resultierenden Verbindlichkeiten - vor und nach dem Tod des Erblassers - haftet. Durch die Nachlassverwaltung hatte der Bruder zwar seine Haftung auf den Nachlass beschränkt. Die Haftungsbeschränkung erstreckt sich jedoch nicht auf Forderungen, für die der Erbe nicht nur als solcher, sondern (auch) persönlich haftet. Dies ist der Fall bei Nachlasserbenschulden, also Verbindlichkeiten, die der Erbe bei der ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses selbst begründet hat und für die er deshalb (auch) selbst haftet. Für diese kann der Erbe trotz angeordneter Nachlassverwaltung in Anspruch genommen werden.
Der BGH entschied, dass hier keine solchen Nachlasserbenschulden vorliegen. Das unterlassene Gebrauchmachen des Erben von seinem Recht zur außerordentlichen Kündigung begründet keine persönliche Haftung, da es sich um ein Recht und nicht um eine Pflicht handle. Das Gericht wies noch darauf hin, dass eine persönliche Haftung jedoch durchaus eintritt, wenn der Erbe nach wirksamer Beendigung des Mietverhältnisses seiner Pflicht zur Räumung und Herausgabe der Mietsache nicht nachkäme. Denn dieses Unterlassen habe Handlungsqualität, wenn für den Erben eine Rechtspflicht zum Handeln bestünde und er hiergegen verstieße. In diesem Fall hatte die Vorinstanz jedoch nicht ausreichende Feststellungen dazu getroffen, ob und wann der Räumungsanspruch fällig war, so dass die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen wurde.
Hinweis: Der BGH hat hier die lange umstrittene Frage entschieden, ob Ansprüche aus dem Mietverhältnis, die nach dem versäumten Kündigungstermin fällig werden, auch Eigenverbindlichkeiten der Erben sind, für die diese persönlich haften.
Quelle: BGH, Urt. v. 25.09.2019 - VIII ZR 138/18
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 12/2019)
In einer Erbengemeinschaft entscheiden die Miterben grundsätzlich gemeinsam. Wichtige Entscheidungen - wie etwa die Veräußerung eines Grundstücks - müssen einstimmig getroffen werden. Für die anderen Entscheidungen reicht hingegen die Stimmenmehrheit. Was bei der Stimmengewichtung jedoch genau zu beachten ist, zeigt die folgende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG).
Ein Mann wurde von seiner Frau und seinem Enkel zu je 40 % sowie einer Tochter zu 20 % beerbt. Die Erbengemeinschaft fasste gegen den Willen der Tochter mehrere Beschlüsse, wobei der Enkel teilweise sowohl im eigenen Namen als auch durch eine Vorsorgevollmacht im Namen der Witwe allein handelte. Bei einigen dieser Beschlüsse war die Witwe wegen eines Interessenkonflikts mit ihrem Stimmrecht ausgeschlossen. Die Tochter hielt diese Beschlüsse für unwirksam. Sie trug vor, dass die Witwe geschäftsunfähig war und daher keine wirksame Vorsorgevollmacht erteilen konnte. Damit hatte der Enkel ihrer Ansicht nach nicht die erforderliche Stimmenmehrheit.
Das BVerfG weist zunächst auf den Grundsatz hin, nach dem es für minderjährige, abwesende und betreute Miterben der Bestellung eines Vormunds, Pflegers oder Betreuers nicht bedarf, sobald auch ohne diesen Miterben eine beschlussfähige Mehrheit vorhanden ist. Wenn die Mehrheit also einen Beschluss fasst, kommt es auf den Geschäftsunfähigen im Ergebnis nicht an, so dass die Bestellung eines Betreuers für diesen Zweck als überflüssige Förmelei erscheint. Dabei ist die Quote dieses Miterben jedoch durchaus zu berücksichtigen. Ist ein Miterbe von der Abstimmung hingegen wegen Interessenkollision ausgeschlossen, hat dies zur Folge, dass allein die Mehrheit der verbleibenden Stimmen - also gegebenenfalls eine Minderheit - entscheiden kann.
In den Fällen, in denen die Witwe aufgrund des Interessenskonflikts ausgeschlossen war, betrug der Stimmenanteil somit nur 60 %, so dass der Enkel mit seinem Anteil von 40 % durchaus alleine entscheiden konnte. In den anderen Fällen betrug der Stimmanteil hingegen 100 % - unabhängig davon, ob die Witwe geschäftsfähig war oder nicht. Sofern der Enkel also keine wirksame Vorsorgevollmacht hatte, konnte er nicht alleine entscheiden, da er mit 40 % keine Mehrheit hatte.
Hinweis: Die Stimmenmehrheit berechnet sich nach der Größe der Erbteile. Es ist dabei unerheblich, ob einzelne Miterben abwesend, minderjährig oder betreut sind. Das BVerfG stellte hier klar, dass der Stimmenanteil sich nur reduziert, sofern ein Miterbe wegen eines Interessenskonflikts von der Abstimmung ausgeschlossen ist. Damit können die Stimmanteile fürsorgebedürftiger Miterben nicht einfach übergangen werden, indem sie vorab herausgerechnet werden.
Quelle: BVerfG, Beschl. v. 28.05.2019 - 1 BvR 2833/16
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(aus: Ausgabe 12/2019)
Handschriftliche Testamente können trotz ungewöhnlicher Form oder Formulierung gültig sein. Warum in derlei Fällen jedoch stets ermittelt werden muss, ob der Erblasser wirklich eine letztwillige Verfügung verfassen wollte, zeigt einmal mehr der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).
Eine Frau legte ein Schriftstück vor, das die Erblasserin mit "Entwurf" überschrieben hatte, und machte geltend, dadurch wirksam als Miterbin eingesetzt worden zu sein.
Das OLG lehnte dies jedoch ab. Es stellte klar, dass ein vom Erblasser selbst als Entwurf bezeichnetes Schriftstück durchaus ein gültiges Testament sein kann, wenn das Schriftstück nach dem feststellbaren Willen des Erblassers als wirksame Verfügung von Todes wegen gelten soll. In diesem Fall war in dem Schriftstück jedoch eine Reihe von Regelungen - wie die Bestimmung des Ersatzerben und von Vermächtnisnehmern - offengelassen, die ein gültiges Testament enthalten sollte. Zudem sprach nach Ansicht des Gerichts für einen bloßen Entwurfswillen der Erblasserin, dass kein Datum angegeben war und das Schriftstück auch nicht die Unterschrift der Erblasserin aufwies, sondern nur eine sogenannte Paraphe (ein Namenskürzel).
Hinweis: Um Streitigkeiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, für die Endversion einer letztwilligen Verfügung eine klare Bezeichnung zu verwenden und vorherige Entwürfe zu vernichten.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.08.2019 - 10 W 38/19
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 12/2019)